Wie unbekümmert einige Wirte gegen die städtischen Vorgaben verstoßen ist erstaunlich. Das muss sich ändern.

Ungewohnt viel Unmut über die Reservierungspraxis einzelner Wiesnwirte hat uns heuer erreicht. Das soll uns Anlass genug sein, einmal genauer hinzuschauen.

Das Interesse der Wirte an Reservierungen

Reservierungen sind für die Wirte aus mehrerlei Gründen interessant. Zum einen garantieren sie einen Besucherwechsel im Zelt, weil die Aufenthaltsdauer der Gäste beschränkt wird, was zumindest am Wochenende für mehr Umsatz sorgt. Schließlich ist davon auszugehen, dass ein Gast, der vier Stunden im Zelt verbringt pro Stunde mehr konsumiert als ein Gast, der doppelt so lange sitzen bleibt. Hinzu kommt, dass der Achtstundentrinker im Schnitt mehr Arbeit für den Sicherheitsdienst bedeutet.

Nicht weniger relevant ist die Tatsache, dass Reservierungen den Wirten ermöglichen, bereits Monate vor der Wiesn wesentliche Mengen Geld einzusammeln, mit denen sie den teuren Zeltaufbau finanzieren können. Der Gast gibt dem Wirt mit seinem Gutscheinkauf eine Kreditlinie, für die er inzwischen sogar bei den meisten Wirten bezahlen muss, da Reservierungsgebühren und überzogene Versandkosten inzwischen die Regel sind.

Der dritte Grund ist in den meisten Fällen nur ein theoretischer, der in Zukunft jedoch häufiger anzutreffen sein könnte: Reservierungen können ein Mittel sein, den Umsatz eines Gastes über seine Ausgabenbereitschaft hinweg zu erhöhen. Dies ist dann der Fall, wenn ein besonders hoher Mindestverzehr erhoben wird, der über dem liegt, was der Gast aus eigenem Willen verzehren würde.

Die geltenden Reservierungsregeln

Veranstalter des Oktoberfests ist die Landeshauptstadt München. Diese verpachtet die einzelnen Standplätze auf der Wiesn und kann darüber entscheiden, wer eine Zulassung bekommt. Um zu verhindern, dass der Umsatzdrang einzelner Wirte den Volksfestcharakter des Festes gefährdet, hat sie sich vor langer Zeit entschieden, Reservierungen zu regulieren. Im Gegensatz zu den meisten anderen Volksfest sind gibt es deshalb beispielsweise große reservierungsfreie Bereiche.

Nachdem in den 2010ern die Zahl der Wirte zunahm, die deutlich vom lange üblichen Mindestverzehr von zwei Maß und einem halben Hendl abwichen, entschied der Münchner Stadtrat 2015, auch den Mindestverzehr zu reduzieren. Bis heute steht deshalb folgendes in den Verträgen der Wirte:

a) Für eine Reservierung darf ein Mindestverzehr im Gegenwert von maximal 2 Maß Bier und ½ Hendl im Bereich der Mittelschiffe und maximal 2 Maß Bier und ½ Hendl, sowie 1 Wertgutschein über 10 € pro Person im Bereich der Boxen, Galerien und Seitenschiffe verlangt werden. Für die Käfer Wiesnschänke und das Weinzelt gilt eine Mindestabnahmeobergrenze von 80 € pro Person.

b) Für eine Reservierung in einem gastronomischen Mittelbetrieb darf ein Mindestverzehr im Gegenwert von maximal 60 € pro Person verlangt werden.

c) Ein Menüzwang ist nicht gestattet.

d) Weitere Leistungen, wie die Vorbestellung eines Brotzeitbrettels dürfen angeboten, aber nicht zur Bedingung einer Reservierung gemacht werden.

In den Oktoberfestbetriebsvorschriten heißt es zudem, „Die Ausgabe der Mindestabnahmegutscheine (Bier- und Hendlmarken, sowie der Wertgutscheine) muss pro Person erfolgen. Die Abgabe von Tisch-Sammelgutscheinen ist nicht gestattet. Die Mindestabnahmegutscheine, die in Zusammenhang mit Reservierungen erworben werden, müssen ihre Gültigkeit für die gesamte Dauer des Oktoberfestes behalten.“

Was momentan schief läuft

Wir stellen fest, dass gegen alle vorgenannten Bedingungen verstoßen wird oder diese zumindest umgangen werden. Wir führen im Folgenden einige exemplarische, uns bekannte Fälle auf. Dadurch, dass die Reservierungsbedingungen vieler Zelte nicht öffentlich einsehbar sind, wäre es uns nicht möglich, eine vollständige Übersicht zu erstellen. Verstöße akribisch aufzuspüren, wäre allerdings sowieso die Aufgabe der Festleitung, nicht die unsere.

Mindestverzehr

Die Obergrenzen für den Mindestverzehr sind wie erwähnt eindeutig geregelt. Dennoch wird diese Regelung unter anderem in der Wurstbraterei Heinz (68€-74€, je nach Tag), der Kalbsbraterei (67€), und beim Rischart (65€) ignoriert. Selbst zwei Neuzugänge verstoßen zum Auftakt gleich gegen ihre Verträge. Der neue Bräuroslwirt Peter Reichert hat im Mittelschiff auf den erlaubten Mindestverzehr einen Verzehrgutschein über 10€ hinzugenommen, bei der neuen Münchner Stuben werden für ein Menü mindestens 61,50€ fällig, ohne Menü gar 75€ pro Person.

Menüzwang

Menüs sind für den Gast in der Regel ein besonderes Ärgernis. Sie sind Monate im Voraus für jeden Gast einheitlich vorzubestellen und binden den gesamten Mindestverzehr in Essen, wodurch diese letztendlich künstlich erhöht wird, schließlich wird kaum jemand auf Getränke verzichten wollen. Außerdem beinhalten sie in der Regel eine Menge Essen, die die meisten Gäste vermutlich nie selber bestellen würden. Es wäre äußerst interessant zu erheben, wie sehr sich die Menge der Speiseabfälle durch Menüs erhöht.

Ganz offen heißt es, dass Reservierungsanfragen inklusive Menü bevorzugt bedient werden, exemplarisch bei folgenden kleinen Zelten: Wirtshaus im Schichtl, Fisch-Bäda, Kalbsbraterei und Goldener Hahn.

Zu begehrten Zeiten, für die sich die Wirte vor Anfragen kaum retten können, bedeutet dies freilich letztendlich, dass ein eigentlich verbotener Menüzwang herrscht – Anfragen ohne Menübestellungen werden schließlich erfolglos bleiben.

Noch einen Schritt weiter geht man beim Café Kaiserschmarrn, wo der eigentlich ausdrücklich untersagte Menüzwang explizit herrscht. Erst nach einer Menüauswahl ist es möglich im Formular fortzufahren. Auch das Weinzelt verstößt ganz unverblümt gegen das Verbot. Dort heißt es, „Aus organisatorischen Gründen benötigen wir ab einer Gruppengröße von über 20 Personen ein einheitliches Menü für alle Gäste.“

Paulaner Festzelt

Darüber hinaus gibt einige Zelte, die die Bestellung von Menüs und Champagner im Reservierungsformular „anbieten“, jedoch nicht zugeben, dass dies für den Erfolg der Reservierungsanfrage entscheidend sein kann. 2022 ist dies sogar erstmals bei einem Brauereizelt der Fall. Die Festhalle der Paulanerbrauerei sammelte seit Juni tausende Reservierungsanfragen ein. Zahlreiche verärgerte Zuschriften unserer Leser, die sich darüber beklagen, dass Anfragen, die nicht über den Mindestverzehr hinausgehen, nach Monaten immer noch nicht bearbeitet oder ohne Rückmeldung zurückgewiesen wurden, während Anfragen mit Menübestellung bestätigt wurden, machten uns neugierig.

Wir stellten selber vier Anfragen, zwei mit Mindestverzehr, zwei mit Menü, wovon wenig überraschend nur die letzteren bestätigt wurden. Da wir dieses System nicht unterstützen möchten, nehmen wir die Reservierungen freilich nicht wahr. Das ist freilich noch kein Beweis dafür, dass man ohne Menü zumindest zu den begehrten Zeiten kaum eine Aussicht auf eine Reservierung hat, doch legt es die Vermutung nahe, zudem ist es höchst auffällig, wenn Wiesnwirte über Monate attraktive Zeiten anbieten.

Marstall-Festzelt

Einen ähnlichen Eindruck erweckt bereits seit Jahren das Marstall-Festzelt, dessen Menüorientierung seit der Erstzulassung für Kritik sorgt. Inzwischen wird der Zwang zur Menübestellung auch öffentlich zugegeben: „Aus organisatorischen Gründen ist es notwendig tischweise ein einheitliches Menü für alle Gäste auszuwählen“, heißt es in den Bedingungen. Hinzukommt, dass „Abbestellungen der vorbestellten Speisen und Extras nicht möglich [sind].“ Dies bedeutet beispielsweise für Vegetarier, dass sie zusätzlich zu ihrem Menü vor Ort ihr eigentliches Essen hinzubestellen müssen. Die drei Menüs kosten 89€, bzw. 95€ pro Kopf.

Sogar Bestandskunden blieben davor heuer nicht verschont. Wer im ersten Anlauf kein Menü zu seiner Reservierung hinzunahm, wurde im Mai noch einmal darum gebeten, ansonsten könnte es sein, dass man die Reservierung „nicht final bestätigen“ könne. Erstaunlicherweise war zu diesem Zeitpunkt eines der drei angebotenen Menüs des organisatorisch offenbar besonders herausgeforderten Zelts bereits ausverkauft – vier Monate vor ihrem Verzehr.

Schützenfestzelt

Auch das Schützenzelt bietet seit einigen Jahren die Bestellung von Menüs bei der Reservierungsanfrage an. Auch hier wollten wir den Eindruck bestätigen, dass Menübestellungen bevorzugt behandelt werden. Von unseren vier Testanfragen für einen Sonntag wurden die beiden samt Menü angenommen, die ohne abgelehnt.

Noch deutlich erstaunlicher ist jedoch, was denen passieren kann, die es einmal in den erlauchten Kreis derer gelangt geschafft haben, denen Abendreservierungen angeboten werden. Unter uns nicht bekannten Umständen kann es nämlich passieren, dass man in ein „Franziskanerkontingent“ rutscht und zusätzlich die Abnahme von Gutscheinen für 50€ pro Kopf für den Franziskaner, eines der beiden Stammhäuser der Wirtsfamilie, aufgedrückt bekommt.

Nur wieso werden nicht einfach 50€ Mindestverzehr im Zelt draufgeschlagen, wenn die Einhaltung der Regeln doch eh keine Rolle zu spielen scheint? Zum einen dürfte ein großer Teil der Franziskanereuros reiner Gewinn sein, weil die Wiesngäste gar kein Interesse an einem Besuch der Wirtschaft in der Residenzstraße haben und die Gutscheine somit nie einlösen.

Der zweite Grund liegt in einem pikanten Detail: Die Zusatzgutscheine werden getrennt in Rechnung gestellt – und zwar nicht vom Zelt, sondern vom Franziskaner selber. Somit geht dieser erhebliche Zusatzumsatz nicht in die Berechnung der Umsatzpacht ein. Vielleicht wacht ja wenigstens wenn es ums Geld geht jemand bei der Stadt auf.

Wieso das wichtig ist

Sollte sich mal jemand von der Landeshauptstadt zur Wiesn äußern, wird in der Regel betont, wie wichtig es sei, dass das Oktoberfest ein Volksfest ist und bleibt. Ein Traditionsfest, dass allen Schichten offen steht. Gleichzeitig stellen wir jedoch fest, dass die Neuzulassungen der letzten 15 Jahre eine ganz andere Sprache sprechen und die Champagnerbetriebe zunehme. Wir fordern deshalb das Ende dieser Doppelzüngigkeit.

Entweder die Marschroute wird ausdrücklich geändert und die Wirte sollen in Zukunft so umsatzorientiert arbeiten dürfen wie nur möglich, mit Menüzwang, vollständig reservierten Zelten und dem Verkauf von Flanierkarten, damit man auch an denen ohne Sitzplatz noch verdienen kann. In diesem Zuge kann die Wiesn dann auch gerne aufs Messegelände (oder Bottrop) rausziehen, damit das Traditionsfeigenblatt des Originalschauplatzes nicht der Augenwischerei dienen kann.

Tatsächlich wünschen wir uns aber eigentlich, dass die Wiesn endlich eine Führung bekommt. Seit der Umstrukturierung der Oktoberfestleitung um Dieter Reiter 2013 als OB-Kandidat bekannter zu machen, gibt es eine solche nämlich nicht mehr. Für die Wirtschaftsreferenten, denen die Wiesn seither untersteht, ist sie lediglich ein kleiner Teil des Aufgabenbereichs, worauf der aktuelle Wiesnchef Clemens Baumgärtner bei seinem Amtsantritt sogar explizit hinwies.

Die Wiesn hat eine professionelle Führung verdient, die sich mit ihrem Charakter und ihrer Geschichte auseinandersetzt und sicherstellt, dass sie ihr Wesen nicht verliert. Aktuell ist nicht der Veranstalter die treibende Kraft, sondern es sind die Wirte, von denen viele einen schrecklich verengten Blick auf das Fest haben, der nicht über den eigenen Betrieb hinausgeht. Die Gier einiger weniger Akteure hat zweifelsohne das Potenzial, die gesamte Veranstaltung in Mitleidenschaft zu ziehen.

Wie es weitergeht

In der Hoffnung, mit unserer Recherche etwas bewegen zu können, haben wir die Festleitung um eine Stellungnahme gebeten, ob sie die von uns aufgedeckten Verstöße ebenfalls feststellt und wieso diese noch nicht abgestellt wurden. Außerdem haben wir die Stadtratsfraktionen um die Beantwortung folgender Fragen gebeten:

  1. Ist die die Bevorzugung von Menübestellung in Ordnung?
  2. Falls nicht, werden Sie einen Antrag stellen, um die Abfrage von Menübestellungen vor der Zusage einer Reservierung zu untersagen?
  3. Soll die Verfügbarkeit von Wiesnreservierungen an Umsätze außerhalb der Wiesn gebunden werden dürfen; etwa die Abnahme von Gutscheinen für das Stammhaus oder eine kostenpflichtige Clubmitgliedschaft?
  4. Sollen Verstöße schärfer geahndet werden, nicht zuletzt im Bewerbungsverfahren?
  5. Soll die Leitung der Wiesn neu geregelt werden, sodass das Amt des Wiesnchefs nicht mehr mit anderen Aufgaben geteilt wird?

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