Der Sepp ist doch eigentlich nur ein Traditionalist. Seine beiden Vorgänger als Hippodromwirte haben das Zelt schließlich auch wegen des Finanzamts verloren.
Das heutige Hippodrom hat wenig gemeinsam mit dem Betrieb, der unter diesem Namen 1902 erstmals als Pferdereitbahn mit Bewirtung eröffnete, genau so wenig wie mit dem laut Sepp Krätz „schlechtesten Zelt der Wiesn“, das es in den 1980er Jahren wurde. Damals verlor es mangels Interesse seine Reitbahn, die alte Fassade wurde gegen eine Jugendstilfassade ausgetauscht, profitierte von einem späteren Schankschluss und litt unter seinem schlechten Publikum, das es regelmäßig mit Gewaltexzessen in die Schlagzeilen schaffte. Was man auch von der sehr speziellen Art des Hippodroms halten mag, Sepp Krätz hat damit etwas geschaffen, woran einige Wirtegrößen vor ihm gescheitert sind. So wenig traditionell es auch heutzutage dort zugehen mag, Krätz hingegen hält die Tradition des Zeltes hoch: Er ist der dritte Wirt, mit dem das Finanzamt auf Kriegsfuß steht.
Den wenig ruhmreichen Beginn dieser Tradition legten Anton und Marianne Weinfurtner im August 1994. Mitten während des Wiesnaufbaus wurde ihnen ein Steuerbetrug in Höhe von sieben Millionen Mark zur Last gelegt. Die Staatsanwaltschaft ging in diesem Fall wenig glimpflich vor, erwirkte Haftbefehle gegen das Ehepaar und beendete somit dessen Wiesnkarriere. Bereits in der Woche nach Bekanntwerden des Vergehens, erkor das Kreisverwaltungsreferat (KVR) die Nachfolger: Michael Käfer und Roland Kuffler. Noch während diese mit der Wirtschaftsprüfung des Betriebs, der angeblich defizitär war, beschäftigt waren, brachten die Weinfurtners jedoch eine andere illustre Persönlichkeit ins Spiel: Vinzenz-Murr-Chefin Evi Brandl.
Am 5. September wurde das Hippodrom an die erste Wiesnwirtin übergeben und dies mit einer Änderung, die bis heute Auswirkungen hat. Gehörten den Weinfurtners nur 49% einer Gemeinschaftsunternehmung zwischen ihnen und dem Spatenbräu, kauften die Brandls der Brauerei die gesamte Gesellschaft inklusive des Zeltes für angeblich 2,5 Millionen Mark ab und machten sich somit zum Alleinherrscher über den Betrieb. Die Tinte war kaum getrocknet, doch noch in der gleichen Woche platzte die Übernahme schon wieder. Im Hinblick auf die Tatsache, dass Sepp Krätz‘ zweifelhaftes Verhältnis zur Steuer schon seit zwei Oktoberfesten bekannt ist, ist aus heutiger Sicht recht interessant, dass Oberbürgermeister Ude nach den Vorwürfen gegen Frau Brandl ein Machtwort sprach und zusammen mit dem damaligen KVR-Chef Hans –Peter Uhl eine Verurteilung gar nicht erst abwarteten, sondern lieber gleich einen Ersatz suchten. Arthur Fichtel, ehemaliger Wirt des Hacker-Zeltes, der sich 1991 von der Wiesn zurückzog, sollte die Hippodrom GmbH treuhändisch übernehmen und führen. Fichtel engagierte Tony Marschall, verlangte einen Eintrittspreis von zehn Mark und schaffte es dennoch nicht, Massenschlägereien zu verhindern. Der Eintrittspreis überlebte noch nicht einmal die erste Woche.
Eigentlich hätte Evi Brandl im Folgejahr schließlich selber ihr Hippodrom übernehmen wollen. Nachdem das Verfahren wegen Steuerhinterziehung nach Zahlung einer halben Million Mark eingestellt wurde, war immerhin dieses Kapitel beendet, doch war ihr offenbar die Lust am Problemfall Hippodrom vergangen. Sepp Krätz war zur Stelle und übernahm das Zelt, das er übrigens inzwischen zusammen mit der Tochter seines Interimsvorgängers, Tina Fichtel, führt. Ganz im Sinne der Tradition des Zeltes wurde auch er vor zwei Jahren ein Fall für die Steuerfahndung. Wie dieser Fall ausgeht, werden die nächsten Wochen zeigen.