Heute stehen auf der Wiesn mehr freie Plätze zur Verfügung - aber nicht überall.
Die große Aufmerksamkeit, die das Reservierungswesen der Wiesnzelte auf sich zieht, führt immer häufiger zu dem Eindruck, man müsse, um diese zu besuchen, unbedingt reservieren oder gar Eintrittskarten erwerben. Man bekommt zuweilen den Eindruck, die Münchner würden gerade die Fähigkeit zum spontanen Wiesnbesuch verlieren, vom Versumpfen ganz zu schweigen.
Deshalb ist es durchaus erfreulich, dass aufgrund der Wiesnverlängerung 2023 am Feiertag mehr unreservierte Plätze zur Verfügung stehen als gewohnt. Statt 50 % vor 15 Uhr und 35 % danach, müssen die großen Zelte, mit Ausnahme der Käfer Wiesnschänke und dem Weinzelt, heuer ihre kompletten Mittelschiffe freihalten. In Zelten mit großen Mittelschiffen, wie der Augustiner-Festhalle oder dem Winzerer Fähndl (jeweils über 60 % der Kapazität) führt dies am Abend zu einer wesentlichen Kapazitätserweiterung.
Die Regelung übererfüllend, hat das Hacker-Festzelt vor 17:45 Uhr sogar alle Plätze unreserviert, und danach das gesamte Mittelschiff. Dort erfüllt der eigentlich ganz erhebliche Teil Mittelschiffboxen nämlich nicht das Trepperlkriterium. Obwohl das Armbrustschützenzelt wesentliche Teile des Mittelschiffs erhöht und normalerweise als Mittelschiffboxen ausgewiesen hat, bleibt das Mittelschiff komplett unreserviert, wodurch am Abend immerhin einige Plätze verfügbar sind als sonst.
Nach dem Brückentag kommt der Trepperltag
Allerdings lohnt sich einer genauerer Blick darauf, wie es zu dieser Sonderregelung gekommen ist. Bereits im vergangenen Oktober wurde der Beschluss gefasst, den gastronomischen Betrieben mit Sitzplätzen zur Auflage zu machen, „dass am Tag der Deutschen Einheit keine Reservierungen getätigt werden dürfen“, damit dies mit in die Ausschreibungen aufgenommen werden konnte. Verschiedene Wirte, die mit der Annahme von Reservierungsanfragen wie gewohnt bereits lang vor ihrer Zulassung angenommen haben, haben dieses Ansinnen jedoch ignoriert und auch für den Feiertag reserviert.
Aus welchen Gründen auch immer, hat der Wirtschaftsausschuss dann im Mai in einer nicht-öffentlichen Sitzung einen neuen Beschluss gefasst. Die Reservierungsfreiheit wurde nun auf die großen Zelte, ohne Käfer und Weinzelt und auf die Mittelschiffe beschränkt – also ähnlich der Feiertagsregelung von vor 2013. Diese wurde damals geändert, da die Wirte ihre Mittelschiffe immer weiter verkleinerten und einige Teile schlichtweg als Boxen deklarierten, um sie reservieren zu dürfen. Deshalb werden die reservierungsfreien Bereiche seither anhand der Gesamtkapazität berechnet.
Die Mittelschiffboxen werden den Wirten nun 2023 wieder zugesprochen – solang sie nicht ebenerdig sind. Wer also ein Trepperl ins Mittelschiff eingebaut, darf diese erhöhten Plätze heuer ausnahmsweise wieder unabhängig von der Gesamtkapazität reservieren. Trepperlplätze gibt es in mehreren Zelten, ganz massiv aber im Schützenfestzelt, dem Armbrustschützenzelt und dem Marstall. Während das Armbrustschützenzelt von seinem Reservierungsrecht nicht Gebrauch macht, sind im Schützenfestzelt die vier Mittelschiffboxen heute Abend reserviert. Beläuft sich die Mittelschiffkapazität dort eh schon nur auf gut 25 %, wird sie dadurch weiter auf 18 % reduziert. Durch die Sonderregelung wird es heute also erheblich weniger freie Plätze geben.
Im Marstall gibt es sogar direkt vor der Musikbühne eine Box. Außerdem wurden zwei Reihen reserviert, die zwar als Box deklariert wurden, jedoch ebenerdig sind. Die Mittelschiffkapazität reduziert sich dadurch auf 23 %.
Die Sonderregelung führt also zu erheblichen Ungleichheiten zwischen den einzelnen Zelten und hat teilweise ihren eigentlichen Zweck untergraben.
Wer weiß von den zusätzlichen Plätzen?
Obwohl es also insgesamt tatsächlich mehr freie Plätze gibt, hat die Stadt dieser Tatsache keine Pressemitteilung gewidmet. Noch nicht einmal in der Auftaktpressemitteilung im Juli, in der alle Neuheiten erstmals vorgestellt werden, wurde die Sonderkapazität erwähnt. Dementsprechend macht sich unter den Wirten Sorge breit, es könne heute Abend arg ruhig zugehen. Das wäre freilich außerordentlich bedauerlich. In der Tagespresse hat das Thema seit Mai keine größere Rolle mehr gespielt.
Also: Raus auf d’Wiesn!!