Von vielen, gerade den traditionell orientierten Wiesnbesuchern wird die Oide Wiesn gefeiert. Doch kann ein Traditionsreservat wirklich die Wiesn retten?
Die Jubiläumsfeierlichkeiten lösten 2010 eine derartige Begeisterung aus, dass eine Wiederholung der Kernveranstaltung ohne Pferderennen bald beschlossen war. „Seither bekommt auf dem Südteil der Theresienwiese Volksfest-Tradition, bairisches Brauchtum, Münchner Gastlichkeit und jugendfrische VolXmusik einen festen Platz“, heißt es in der Pressemitteilung der Stadt zur Oidn Wiesn 2013. Abgesehen von der „Volxmusik“, die bislang auf der Wiesn nicht präsent war, habe ich diesen Anspruch – offenbar irrtümlicherweise – bisher der Wiesn an sich unterstellt. Unbestritten ist allerdings, dass der Status Quo einem solchen Anspruch stellenweise nicht gerecht werden kann. Auf musikalische und atmosphärische Annäherung der Bierzelte an Discotheken reagierte die Stadt mit einem Verbot „aufheizender Musik“ vor 18:00 Uhr. Wer einmal kurz nach Mittag unter der Woche im Schützenzelt zu populärmusikalischen Klängen auf den Bänken umhergesprungen ist, kann ungefähr einschätzen, wie leidenschaftlich die Stadt ihre eigenen Regeln durchsetzt. Auf der anderen Seite gibt es aber durchaus auch Zelte, in denen am Nachmittag durchgehend traditionelle Töne erklingen, im Augustinerzelt sogar noch des Abends.
Wenn nun für alle Traditionalisten ein eigenes Reservat geschaffen wird, was bleibt dann noch von der echten Wiesn übrig? Ein Haufen Großraumdiscotheken für die Jugend der Welt? Ist die Gefahr nicht groß, dass der Versuch, Brauchtums- und Traditionsaspekte zu ihrem eigenen Schutz zu isolieren, dazu führt, dass man ebendiese Aspekte aus dem Wesen der Wiesn heraustrennt? Ich bezweifle, dass es eines eigenen Reservats bedarf um einen Betrieb wie im Traditionsfestzelt zu gewährleisten. Als Beispiel muss auch hier wieder die Festhalle des Augustinerbräus herhalten, der sich wie auch im Geschäft unter dem Jahr durch seine konservative Haltung einen regelrechten Mythos hat schaffen können. Sie gehört ganztägig zu den bestbesuchten Zelten und hat bisher keinerlei Eintrittsgeld bedurft um sich ihren ganz eigenen Charme zu erhalten.
Einen materiellen und somit leicht messbaren Verlust hat die richtige Wiesn bereits im Schaustellerbereich erlitten. Zwar stehen auf der Oidn Wiesn zu einem großen Teil Geschäfte, die nie auf der Wiesn, Jahrzehnte eingelagert oder in Anlehnung an historische Geschäfte neu gebaut wurden, doch wurde mit dem Kalbschen Kettenflieger, dem zweitältesten Fahrgeschäft auf der Wiesn, auch ein Klassiker aus seinem natürlichen Habitat gerissen. Sofort waren Stimmen zu hören, ein Flohzirkus gehöre doch eigentlich auch auf die Oide Wiesn. Und was ist eigentlich mit dem Kasperltheater? Der Krinoline? Der Hexenschaukel?
Letztgenannte ist ein Beispiel für eine 2013 neue Tendenz auf der Oidn Wiesn. Neu ist dieses Jahr nämlich die Hexnwippn, Baujahr 1968 und das in Konkurrenz zur Hexenschaukel auf der richtigen Wiesn. Diese steht dort mit Unterbrechungen seit 1894. Auch ein zweites kleines Riesenrad findet sich auf der Oidn Wiesn. Wozu soll das führen? Zu einem Umzug der Originale? Sollen jegliche Anzeichen von Charme und Tradition, ja von Charakter, aus der Wiesn extrahiert und zu dessen Schutz in einem Museumsareal isoliert werden? Was wird dann aus dem, was wir bisher unter Wiesn verstanden haben? Eine große Mallorcaparty, wie sie rund um München dutzende Burschenvereine jedes Jahr veranstalten?
Abstrakter betrachtet wird also von einem Phänomen, das Generationen geliebt haben, das viele aber inzwischen als degeneriert und aus den Fugen geraten ansehen, eine Kopie errichtet, die wieder so sein soll, wie man das Original in Erinnerung hat. Ginge es hierbei um permanente Gebäude, spräche man wohl von einer Disneylandisierung. Eine alljährliche Veranstaltung aber lässt sich korrigieren. Auch die Wiesn hat in ihrer langen Geschichte einige tiefgreifende charakterliche Wechsel durchlebt. Wieso sollte man sie gerade jetzt aufgeben? Einzelne Oasen beweisen sehr wohl, dass die Wiesn nach wie vor das sein kann, was Hunderttausende in der Oidn Wiesn suchen.
Auch wurde die Stadt selber im vergangenen Jahrzehnt von einem Sinneswandel erfasst, der dazu geführt hat, dass auf dem Papier Korrekturmaßnahmen eingeleitet wurden. Auf dem Papier. Durchgesetzt werden sie, wie schon erwähnt, zu einem großen Teil nicht. Der ein oder andere Wirt könnte auch schon allein aus wirtschaftlichem Interesse einmal auf die Idee kommen, am Vormittag zur erforschen, wieso die Zelte auf der Oidn Wiesn schon wohlgefüllt sind, während bei ihm an den erst am Abend reservierten Tischen gähnende Leere herrscht. Es wäre ja nicht so, als könne die Stadt die von den Brauereien und Schützenverbänden vorgeschlagenen Wirte nicht ablehnen.