Die Wiesn dürfte musikalisch gerne selbstbewusster auftreten, denn Beliebigkeit passt zum größten Volksfest der Welt ganz und gar nicht.

Das „Liad für d'Wiesn“ wird am Donnerstag erstmals gekürt. Ganz glücklich waren wir ehrlicherweise nicht mit dem Teilnehmerfeld des Musikwettbewerbs. Allen Unkenrufen zum Trotz sind es schließlich nicht die Sauf- und schon gar nicht reine Wiesnlieder, die sich über viele Jahre im Bierzeltkanon halten können, sondern doch eher hochwertige Ware, insbesondere im bairischsprachigen Repertoire. Dankbar sind wir jedoch dafür, dass mit dem heuer erstmalig durchgeführten Musikwettbewerb ein Thema in den Fokus gerückt wird, das wir in den letzten Jahre immer wieder angesprochen haben: Die Musik, die auf der Wiesn gespielt wird.

„Bierzeltmusik“ verschwindet aus den Bierzelten

Die Wiesn wurde ursprünglich als bayerisches Nationalfest konzipiert und ist weiterhin ein kulturelles Ereignis, ja gar der wichtigste Kulturexport Bayerns und seiner Landeshauptstadt und wohl leider auch der Bundesrepublik. Doch wieso wird auf der Wiesn an den Abenden dann kaum noch bairische Musik gespielt? Weder traditionelles noch alte oder neue Schlager. Stattdessen dominiert bereits seit eigenen Jahren Musik, wie man sie aus Irish Pubs gewohnt ist. Ergänzt wird diese in den letzten Jahre zunehmend durch Top-40-Musik, die oft noch weniger in ein Bierzelt passen will. Würde man immer wieder zwischen Bayern 1 und Bayern 3 hin- und herschalten und die Ballermannmedleys selber dazusummen, käme man derzeit wohl ungefähr auf eine gängige Bierzeltbeschallung.

Freilich ist es leicht zu sagen, man müsse halt einfach das spielen, was jeder kennt, damit Stimmung im Zelt aufkommt. Wer einen gewissen Anspruch hat und den kulturellen Aspekt der Wiesn nicht ganz unter die Räder kommen lassen will, ist zudem anstrengend, weil das auch bedeutet, sich gegen in der Regel kommerziell getriebene Widertöne zu stemmen. Doch selbst, wenn man einfach die haarsträubende These schluckt, mit bairischem Liedwerk ließe sich keine Stimmung zu erzeugen, stellt sich immer noch die Frage, wieso inzwischen so viel Popmusik gespielt wird, die noch nicht einmal zur Publikumsanheizung dient? Wieso können nicht wenigstens solche Lücken mit traditionelleren oder wenigstens bairischen Stücken gefüllt werden, auch wenn sie vielleicht keine Top-40-Bekanntheit haben? Welchen Sinn ergibt es, sein Repertoire so unnötig beliebig zu gestalten?

Wieso kriegen selbst die Kölner das besser hin?

Achtung, jetzt wirds richtig hart: Wir angeblich so selbstbewussten Bayern können also angeblich nur zu Taylor Swift und Prince richtig feiern. Die Kölner hingegen haben es geschafft, von ihrem Fastelovend, also dem Fasching, ausgehend, eine eigene Musikkultur zu entwickeln und zu erhalten. In Köln gibt es nicht nur eine Spider Murphy Gang, sondern Dutzende. Und die veröffentlichen tatsächlich jedes Jahr neue Lieder, die vom Publikum angenommen werden. Was läuft bei uns verkehrt, dass es nicht möglich scheint, trotz der vielen Besucherkontakte in den Bierzelten fast das ganze Jahr über, nicht nur eine traditionelle, sondern auch eine zeitgenössische Musikkultur zu etablieren? Wie kann es sein, dass sich das größte und schönste Volksfest kulturell so schrecklich verzwergt, dass absurder-, aber zur Argumentation passenderweise „Viva Colonia“ in den Zelten gespielt wird? Muss sich gerade die Wiesn nicht selbst genug sein, um ihr Publikum nicht „Malle ist nur einmal im Jahr“ grölen zu lassen?

An den vielen auswärtigen Wiesnbesuchern dürfte es nicht liegen. Die waren auch schon da, als auch am Abend noch Blasmusik dominierte. Und in der bayerischen Provinz, in Karpfham, Straubing, oder Augsburg ist der Bierzeltkulturverfall ja noch viel weiter fortgeschritten als in der Landeshauptstadt.

Traditionell und Stimmung sind keine Gegensätze

Gerade habe ich noch den Vorwurf ignoriert, mit traditioneller Musik könne man keine Stimmung erzeugen. Diese weit verbreitete Grundannahme mag teilweise in der Ära Weishäupl, als man sich wenigstens noch nicht anstrengen musste, um bei den Wiesn-Oberen ein tieferes Interesse am Oktoberfest erkennen zu können, selbstverschuldet worden sein. 2005 wurde festgelegt, dass bis 18 Uhr keine aufheizende Musik mehr gespielt werden darf. Richtig durchgesetzt wurde diese Regel jedoch nie. Dass sie überhaupt noch existiert, darf jeder, der die Musik am Nachmittag kennt, durchaus für absurd halten.

Später wurde die gleichzeitig eingeführte Lautstärkenobergrenze für Festkapellen gelockert, die sich selbst verpflichten, bis 18 Uhr nur traditionelle Blasmusik zu spielen. Im städtischen Schlussbericht heißt alljährlich zu den teilnehmenden Zelten, „während unserer Kontrollen konnte festgestellt werden, dass sich die Kapellen grundsätzlich darangehalten haben, traditionelle Blasmusik zu spielen.“ Dass, z.B., die an der Regel teilnehmende Ochsenbraterei am Eingang sogar explizit mit Blasmusik nur bis 15 Uhr wirbt, lassen wir einfach mal so stehen.

Während eine Regel zu traditioneller Blasmusik wünschenswert ist, ist es deren Gleichsetzung mit nicht-aufheizender Musik nicht. Wer das ehemalige Volkssängerzelt der Oidn Wiesn, die Schönheitskönigin, erlebt hat, weiß das. Wer die Brass Wiesn mal besucht hat, die Kapelle Josef Menzl oder die Kapelle Kaiserschmarrn mal in vollem Lauf erlebt hat, kennt eine bairische, oft traditionelle Art der Stimmungsmusik. Dass sich diese Farbtupfer in der grauen Bierzeltmusikwelt auf die Oide Wiesn beschränken, auf die Retortenveranstaltung neben dem über 200 Jahre alten Oktoberfest, ist tragisch.

Insofern kann ich nur hoffen, dass der neue Musikwettbewerb, wenn er auch sicherlich nicht die Musik hervorgebracht hat, die man sich wünschen würde, wenigstens als Anstoß einer Debatte im Stadtrat, der Festleitung, unter den Wirten und den Brauereien dient. Denn wenn die Verantwortlichen immer nur den Weg des geringsten Widerstands und des größten Gewinns gehen, wird die Wiesn Charme weiter an Charme einbüßen. Und wenn ihr kultureller Wert einmal auf Ballermannniveau gesunken wird und die Zahl an der sinnlosen Saufveranstaltung herumnörgelnden immer größer wird, wird sie sich irgendwann existenziellen Fragen stellen müssen.