Die offiziellen Besucherzahlen des Oktoberfestes 2016 scheinen viel zu hoch. Dabei kommt ihnen gerade heuer große Bedeutung zu.
Wenn die Stadt München morgen Vormittag die Besucherzahl des 183. Münchner Oktoberfestes bekanntgibt, wird in der entsprechenden Pressemitteilung voraussichtlich eine Zahl stehen, die unglaubwürdig hoch scheint. Nach dem miserablen Eröffnungswochenende, an dem laut offiziellen Angaben eine halbe Million Besucher fehlte, war noch nicht klar, ob dieser extreme Besuchereinbruch am ebenfalls extrem schlechten Wetter lag oder ob nicht die Sicherheitsdiskussion samt der darauffolgenden -Vorkehrungen die potentiellen Wiesngänger von der Theresienwiese fernhielten.
Am mittleren Wochenende war bei bestem Wiesnwetter jedoch nicht mehr zu übersehen, dass der Andrang heuer in einer anderen Liga spielt als in den letzten 30 Jahren üblich. Auch ein Nachholeffekt, wie er im vergangenen Jahr am letzten Wochenende, insbesondere am 3. Oktober zu spüren war, blieb heuer aus. Selbst der letzte Samstag war bei 24 Grad ein erfreulich angenehmer Wiesntag, an dem auch am Nachmittag die Zelte noch nicht wegen Überfüllung schließen mussten. Am anhaltend schönen Wetter kann dieser bemerkenswerte Umstand also kaum liegen.
Bei einem so deutlichen spürbaren Unterschied, sowohl in Bezug auf den Druck auf die Zelte, als auch in Bezug auf das Gewurl auf den Straßen, sollte die abschließend verkündete Besucherzahl eigentlich um einige Hunderttausend unter den 6,4 Millionen im Jahr 2012, das als letztes ZLF-Jahr sinnvollerweise zum Vergleich herangezogen wird, liegen. Selbst im vergangenen Jahr, als wir eine große und eine Oide Wiesn hatten, herrschte trotz des höheren Platzangebots signifikant mehr Betrieb. Und selbst damals wurden nur 5,9 Millionen Besucher inklusive der 535000 auf die Oide Wiesn entfallenden geschätzt.
Nachdem überraschenderweise jedoch bereits zur Wiesnhalbzeit von „knapp unter drei Millionen“ Gästen die Rede war, in der zweiten Woche der Zuspruch deutlich zunahm und nicht zuletzt der Zusatztag am 3. Oktober berücksichtigt werden muss, wäre es noch einmal äußerst erstaunlich, würde eine Besucherzahl von unter sechs Millionen und damit weniger als im Vorjahr verkündet werden.
Dafür kann es zwei Gründe geben. Die erste Möglichkeit, es könne politisch gewollt sein, die negativen Auswirkungen des neuen Sicherheitskonzeptes zu beschönigen, wollen wir nicht weiter vertiefen. Was allerdings plausibel wirkt, ist die Möglichkeit, dass die Methodik zur Besucherzahlenerhebung in einem solch ungewöhnlichen Jahr schlicht und einfach nicht funktioniert. Ein wesentlicher Faktor sind nämlich die Verbrauchszahlen. 15% weniger Bierumsatz ist eine Zahl, die man leicht auf das schwache Biergartengeschäft zum Auftakt schieben kann. Die Kalbsbraterei allerdings, die nicht über einen Garten verfügt, hat zur Halbzeit nur ein einziges Kalb weniger verarbeitet als die Kalbskuchl im Vergleichsjahr 2012. Das Geschäft in den Zelten selber war offenbar nicht sonderlich beeinträchtigt.
Bei allen anderen erhobenen Zahlen, die sich nicht direkt auf den Verzehr in den Zelten beziehen, sind allerdings deutliche Rückgänge zu verzeichnen. So wurden bis zum ersten Samstagabend nur 35 Kinder statt 93 im Jahr 2012 in der Kinderfundstelle gewickelt oder gestillt und durch das Jugendamt nur zwei statt 35 Jugendlichen betreut. Das Fundbüro hatte lediglich 925 statt 2600 Fundsachen zu verwalten und das BRK hatte nur 3380 anstatt 5163 Patienten noch im Jahr 2012 zu verarzten – beides ein Rückgang von ungefähr je 35%.
So schön die 2016er-Ausgabe des Oktoberfestes im Laufe der ersten Woche auch wurde, die zumindest gefühlte Zahl der Daheimgebliebenen wirkt doch etwas betrübend. Schließlich werden sich die Betroffenen nicht ganz unfreiwillig nicht in den bayerischen Nationalrausch begeben haben.
Ansonsten interessieren die Besucherzahlen in München in der Regel niemanden. Wieso auch – ob es nun 6,9 oder 6,3 Millionen waren liegt schließlich eh nur am Wetter und wenn es die Leute nicht gerade wegregnet ist sowieso immer gleich viel los. Lediglich in den 90ern wurde die Zahl schon einmal zum Politikum als ein Wirt des Cannstatter Wasens ihre Höhe anzweifelte und deshalb genauere Messungen anordnete – die allerdings die Münchner Schätzungen tatsächlich bestätigten. Durch die neuen Sicherheitsvorkehrungen allerdings ist die Besucherzahl heuer nicht ganz uninteressant. Nicht, dass jemand mit völlig überzogenen Zahlen in der Hinterhand noch auf die Idee käme, diese würden die Menschen nicht vom bayerischen Teilzeitparadies abhalten.
Aktualisierung: Nach den „knapp unter drei Millionen“ Gästen zur Halbzeit hat die Stadt zur Abschlussbilanz die Zahlen für die gesamte Wiesn doch nach unten korrigiert. Trotz des deutlich stärkeren Andrangs in der zweiten Wiesnhälfte ist nur von insgesamt 5,6 Millionen Besuchern die Rede.