Verboten waren die bei Münchnern so beliebten Spaziergänge über die Wiesnbaustelle schon lange. 2014 werden sie jedoch erstmals auch wirklich unterbunden.
Die Wiesn ist – und das lässt sich ob ihrer Beliebtheit leicht feststellen – für das Gros ihrer Besucher ein Glückszustand, in den sie sich je nach Neigung und Möglichkeit für wenige Stunden oder volle 16 bis 18 Tage begeben. Bevor die Endorphine diesen glücklichen Menschenschlag auf dem Festgelände regelrecht schwemmen und die Opioidrezeptoren umschmeichelnd zu Juchzern verführen, bedient sich das Nervensystem des Wiesnenthusiasten gerne eines weiteren Botenstoffes, des Dopamins. Dieses nämlich zeichnet sich für die Vorfreude des Oktoberfestbesuchers verantwortlich. Das ist insofern von großer Bedeutung, als dass mit dem Ende der Wiesn oftmals eine Anpassungsstörung zutage tritt, die sich in Form der Postwiesndepression äußert. Vor diesem Hintergrund geriert sich nahezu jede Biertischsituation zwischen zwei Oktoberfesten als Kompensationsmittel in der geradezu unerträglichen langen Zeit von fast 50 Wochen, über die sich das Martyrium des Bierzeltamateurs erstreckt.
Doch egal ob am Nockherberg, auf dem Frühlingsfest oder bei sonstigen Ersatzdrogen: schnell wird klar, dass sich die Dopaminausschüttung so einfach nicht ankurbeln lässt. Das ändert sich jedoch schlagartig Mitte Juli. Heuer war es um genau zu sein der 14. Juli, an dem die ersten Schwertransporter anrollten um die materiellen Einzelteile des großartigsten Festes, das sich unsere Vorfahren auszudenken in der Lage waren, an ihren Bestimmungsort zu befördern. Mit diesem Stichtag, an dem sich endlich unmissverständlich, zunächst wenigstens visuell wahrnehmbar, bestätigt, dass es aller Voraussicht nach wohl auch in diesem Jahr wieder zu einem Oktoberfest kommen wird, beginnt auch die Saison der Aufbauspaziergänger, die in vorfreudiger Erregung über die unfertige Wiesn schlendern.
So begab es sich jedenfalls die letzten gut 200 Jahre. 2004 sah sich die Stadt veranlasst, erstmals mit Schildern auf das Betretungsverbot der Baustelle hinzuweisen. Der präfestive Besucherstrom riss mangels Durchsetzung des Verbots jedoch nicht ab und so begannen Gassigänge in München während dieser zwei Monate weiterhin eben erst nach einer Straßen- oder U-Bahnfahrt zur Wiesn und Radlwege wurden über die Theresienwiese umgeleitet. Zur Not unter einem Vorwand, denn wiesndamisch ist man ja schließlich doch nicht. Mit dem Staunen über den Baufortschritt Ende Juli und der Skepsis bezüglich der Fertigstellung Anfang September ist heuer zumindest in diesem Rahmen jedoch endgültig Schluss. Umzingelt von wenig ansehnlichen und in ihrer Durchlässigkeit unerbittlichen Bauzäunen, wird das halbfertige Oktoberfest von einer Mauer begrenzt, die Anrainer zu großen Umwegen und Baufortschrittsbegutachter zum Staunen aus der Entfernung zwingen.
Die neue Festung sorgte von Anfang für Kritik und schließlich sogar zu einer Änderung der Querungsregelung, mit der weder Passanten noch Bauunternehmer zufrieden waren. Doch abgesehen von praktischen und organisatorischen Mängeln dieser Neuerung, handelt es sich doch vielmehr um ein emotionales Thema. Vorbei ist der rege Betrieb in den vormals zahlreichen, inzwischen nur noch im Doppelpack vorhandenen Wiesnkantinen; Vergangenheit die Freude, während der Bauzeit Neuerungen entdecken zu können; Geschichte die vorfreudige Teilhabe am Entstehungsprozess seines Lieblingsfestes. Denn der Zeitgeist erlaubt offenbar nicht mehr, was während der vorigen 200 Jahre problemlos möglich war. Und so scheitert das Dopamin an einem Bauzaun.