Menüs sind auf der Wiesn inzwischen nahezu allgegenwärtig. Ist das eine gute Entwicklung?
Die Wiesn ist das schönste Volksfest der Welt. Um dies zu begründen, kann man sich den Kopf zerbrechen und versuchen, einen intellektuellen Zugang zu finden, um das, was schlecht beschreibbar ist, in Worte zu fassen. Es gibt aber auch ganz profane Aspekte, die diese These aus dem Hochsubjektiven etwas in die Richtung des Faktischen rücken. Ein Beispiel hierfür ist die Regulierung der Reservierungen.
Wie wichtig diese ist, kann der Münchner derzeit am Frühlingsfest beobachten. Am Fest der Münchner Schausteller werden nicht nur alle Tische reserviert, sodass nicht reserviert habende Besucher zu den beliebteren Zeiten gar nicht erst die Möglichkeit haben, in den Rang eines Gasts aufzusteigen, sondern auch ein Mindestverzehr von 50 € pro Magen erwartet. Pro Magen und nicht pro Gurgl, weil im Falle des Hippodroms die Abnahme eines Menüs zu ebendiesem Preis verpflichtend ist. So kommen die Kosten für Getränke also noch zu den 50 € hinzu.
Auf der Wiesn, die anders als das Frühlingsfest direkt von der Landeshauptstadt organisiert wird, ist beides nicht möglich. Alle großen Zelte bis auf zwei müssen erhebliche reservierungsfreie Bereiche vorhalten, der Mindestverzehr ist beschränkt und auch die Abnahme eines Menüs darf nicht zur Pflicht gemacht werden. Als sich der Stadtrat 2015 zuletzt mit dem Thema beschäftigte, verbot er einen Menüzwang, erlaubte aber das Angebot von Menüs ausdrücklich. Ausschlaggebend waren einzelne Wirte, die die Mindestverzehrforderungen überzogen und so die Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenkten.
An solch einem Punkt stehen wir möglicherweise heuer wieder. Ursprünglich eine Angelegenheit der kleinen Zelte, wächst die Beliebtheit von Menüs auch unter den Wirten der großen Oktoberfestzelte. Ins Auge fallen heuer bislang das „Gourmetmenü“ der Bräurosl mit Tomahawk-Steak, für das 119 € angemessen sein sollen und die vier Menüs des Marstalls für je 98 €. Dass letzterer dann auch noch als Teil der Hauptspeise des vegetarischen Menüs den bairischen Bierzeltklassiker (vegane) Currywurst darreicht, ist zudem ein gefundenes Fressen für alle, die den Wert solcher Menüs hinterfragen. Hinzukommt, dass diese auch als Teil eines Menüs des Winzerer Fähndls angeboten wird – das jedoch zum halben Preis.
Ein beliebtes Argument vonseiten der Wirte ist, dass ihnen nur Menüs überhaupt ermöglichen, die Qualität zu liefern, die sie liefern möchten. Doch selbst wenn der Gegenwert tatsächlich stimmt, ist der Trend zum „Fine Dining“ auf der Wiesn nicht schlichtweg fehl am Platz? Ist ein Steak, das auf den Punkt gegart sein will, in einem Betrieb mit Tausenden von Sitzplätzen nicht einfach der falsche Ansatz? Eine Bierzeltküche darf selbstverständlich gut sein, nur sollte sie sich doch dessen bewusst sein, dass sie zur Bewirtung eines Bierzelts dient.
Nachdem inzwischen Menüs dreistellig bepreist werden, drängt sich ein weiterer Aspekt auf, dem Menüs künftig dienen könnten: Dem Verstecken von Reservierungsgebühren. Reservierungen für begehrte Zeiten haben auf der Wiesn einen großen Wert, wie der Schwarzmarkt deutlich vor Augen führt. Von den Wiesnwirten wird bislang jedoch erwartet, dass sich daran nicht bereichern. Dass Reservierungen kostenlos sind, stimmt leider in vielen Fällen nicht mehr ganz, aufgrund von verpflichtenden Versandgebühren oberhalb von 40 € und oft erhobenen Reservierungsgebühren pro Kopf. Da es sich hierbei bislang aber nur um wenige Euro handelt, ist der ganz große Aufschrei noch ausgeblieben.
In den Menüs jedoch steckt einiges an Potenzial. In vielen Fällen werden diese so konzipiert, dass alle Gänge auf Brettln oder in Reindln für den ganzen Tisch serviert werden und unterschiedliche Gerichte kombinieren. So ist es zumindest nicht ganz einfach möglich, den Wert des Menüs aus den Preisen der einzelnen Bestandteile von der Speisenkarte abzuleiten. Man kann jedoch großzügig den laut Speisenkarte teuersten Bestandteil des Hauptgangs und der Nachspeise als Wert der jeweiligen Gänge annehmen, dazu den in den meisten Zelten ähnlichen Wert des Vorspreisenbrettls (oder gar das deutlich umfangreichere à la carte Brotzeitbrettl) und dann feststellen, dass es zur Dreistelligkeit ein weiter Weg ist. Wir landen dabei gar bei Summen, die einen Aufpreis von 50 % für ein Menü gegenüber der einzelnen Gänge gemäß der Speisenkarte nahelegen.
Dieses Missverhältnis zwischen dem Wert der einzelnen Gänge und dem Preis eines Menüs ist bislang noch einzelne Ausreißer. Der Erfahrung nach, werden sich diese jedoch normalisieren, wenn die Entwicklung nicht rechtzeitig aufgehalten wird. Einen Bärendienst erweist seinen Kollegen in dieser Diskussion mit Sicherheit auch der Goldene Hahn. Der bietet seinen Gästen heuer ein Geflügelmenü samt Champagner für 1160 € an - 10 % Frühbucherrabatt bereits abgezogen. Zusammen mit dem obligatorischen zusätzlichen Getränkegutschein von 30 € pro Gast und den Reservierungsgebühren landet der Reservierungswillige bei Kosten von 176,50 € pro Kopf. Der Fairness halber möchten wir darauf hinweisen, dass es auch günstiger geht. Wer lieber ein halbes Hendl als Hauptspeise hat, kommt insgesamt auf 106,50 €. Für die Außenwirkung der Marke Oktoberfest sind derartige Angebote wenig hilfreich. „Wir bitten um Verständnis, dass aus organisatorischen Gründen bei den Abendreservierungen zuerst die Anfragen mit Menü - Vorbestellung bearbeitet werden“, heißt es zudem im Reservierungsformular.
Dieses Verständnis müssen wir leider verweigern. Und Sie, werte Leser?