Wiesn-Chef Josef Schmid betont bei jeder Gelegenheit den traditionellen Charakter der Wiesn. Die Zulassungen der letzten Jahre sprechen eine andere Sprache.

Wie berichtet, wird Poschners Hendlbraterei nach dem 80-jährigen Jubiläum im vergangenen Jahr heuer nicht mehr für die Wiesn zugelassen. Anstatt des ruhigen Zeltes, das als Hendlbraterei alten Schlages als eines der letzten Zelte gänzlich auf Musik verzichtete, wird 2015 Josef Able mit seinem Goldenen Hahn die Wiesn beziehen. Mit dem Goldenen Hahn folgt nun also ein weiteres Champagnerzelt, womit in den kleinen Zelten ein Weg hin zu Oktoberfest-Partys am Originalschauplatz fortgeschrieben wird. Im Gegensatz dazu äußern sich die Vertreter der Stadt jedoch immer betont traditionell. „Mir san koa Disco“ stellte die langjährige Wiesnchefin Gabriele Weißhäupl klar und der aktuelle Chef, Bürgermeister Josef Schmid, seines Zeichens Mitglied im Trachtenverein Alpenrösl, schwelgt bei jeder sich bietenden Gelegenheiten in nostalgischen Volksfesterinnerungen.

Als die Wiesn in den 90ern zu einem Bajuwaren-Ballermann, dem größten Burschenfest der Welt auszuarten drohte, wurden unter der Führung von Gabriele Weißhäupl einige Regeln eingeführt, um der Wiesn Wesen auch in Zukunft zu erhalten. Beispielsweise sind seither die Festkapellen dazu angehalten, vor 18 Uhr auf aufheizende Musik zu verzichten. Zwar hat das Oktoberfest zumindest in den großen Festhallen seine schlimmste Zeit tatsächlich hinter sich, doch wer eines Nachmittags unter der Woche im Schützenzelt ein Mittelschiff vor sich sieht, das im Kollektiv zu amerikanischen Schlagern der letzten 30 Jahre auf den Bänken zappelt, kann sich ein Bild davon machen, wie scharf die Stadt über die Einhaltung ihrer eigenen Traditionsverordnung wacht.

Daraus ergeben sich zwei Fragen: Welchen Charakter schreibt die Stadt als Veranstalter der Wiesn überhaupt zu? Und auch wenn die offizielle Linie tatsächlich den Aussagen der Wiesn-Häuptlinge der letzten Jahre folgen sollte, wer bestimmt dann überhaupt, was sich auf der Wiesn abzuspielen hat und was nicht? Die Diskrepanz zwischen der traditionsorientierten öffentlichen Darstellung und der Entwicklung der letzten Jahre weckt Zweifel daran, ob die in der Öffentlichkeit stehenden Wiesn-Chefs, momentan also Herr Schmid, überhaupt so wichtig sind, wie es ihr Amt eigentlich vermuten ließe.

Der Fall Poschner gegen die Stadt München lässt noch ein weiteres Problem offenkundig werden: Die Mittelbetriebe werden auf der Wiesn in drei Kategorien ausgeschrieben. Innerhalb dieser Kategorien, die auf die Bezeichnungen Cafézelte (z.B. Rischart), Hendlbratereien (z.B. Poschner) und Wurstimbisshallen (z.B. Wildstuben) lauten, wird in der Ausschreibung nicht weiter unterschieden. Auch veränderte Erwartungen der Stadt an die Bewerber werden nicht kommuniziert. Im Falle Poschner fiel so ein Zelt, dass seit 80 Jahren im Familienbesitz ist und laut eigener Aussage nie einen Tadel von der Stadt erhalten hat, in der Gunst der Bewerter und wurde durch ein völlig gegensätzliches Konzept ersetzt, ohne dass dies vorher absehbar gewesen wäre. An dieser Stelle wollen wir aber auch darauf hinweisen, dass wir das Poschner-Zelt nicht zu einem Musterbeispiel einer gemütlichen Wiesn-Spielart hochstilisieren wollen. Eine Zweistundentaktung bei den Reservierungen und ein damit verbundener Mindestverzehr von 12,50€ pro Stunde sprechen schließlich eine andere Sprache.

Wenn wir nun davon ausgehen, Josef Able habe mit der Bewerbung für den Goldenen Hahn eine Art Musterlösung für die nächsten Jahre abgegeben, schließlich ist es ihm gelungen, einen Traditionsbetrieb auszustechen, dann müsste dies – stark überspitzt – für die nächsten Jahre bedeuten, dass auch alle anderen Hendlbratereien zukünftig Champagnerfrühstück und Coverbands aufzubieten hätten, da sie ansonsten von neuen Bewerbern ersetzt würden, die ebendieses Angebot in ihre Bewerbungen schreiben. Werden also wirklich an alle Betriebe die gleichen Maßstäbe gelegt?

Bereits 2014 wurde der kometenhafte Aufstieg von Siegfried Able zum Marstallwirt mit Argwohn betrachtet. Nur mit Hilfe mächtiger Freunde sei eine solche Karriere möglich, wurde gemutmaßt. Handfeste Unregelmäßigkeiten deckte ein Jahr später das Revisionsamt auf der Oidn Wiesn auf. U.a. wurden von deren Organisator, der Münchner Schausteller-Stiftung, von manchen Beschickern absurd niedrige Pachten verlangt. Die Oide Wiesn soll daraufhin zukünftig anderweitig organisiert werden. Und auch die Neuzulassung des zweiten Ables in zwei Jahren und das gleichzeitige Aus eines Traditionsbetriebes lässt wieder viele Kommentatoren aufhorchen. Von Seilschaften aus mächtigen Wirtsfamilien, Stadträten und Beamten an Schlüsselstellen ist die Rede. Und hier kommen wir wieder zurück zur einleitenden Fragestellung: Wer hat auf der Wiesn eigentlich das Sagen? Vielleicht sollte dieser Frage von offizieller Seite doch einmal etwas genauer nachgegangen werden.

Sollte die Klage der Familie Luff gegen die Nicht-Zulassung mit dem Poschner-Zelt tatsächlich zu einer Verhandlung führen, könnte diese also einige interessante Informationen zutage fördern. Doch dass es überhaupt zu einem Gerichtstermin kommt, hat die Stadt München bislang noch immer durch gütliche Einigungen zu verhindern gewusst und so wäre es erstaunlich, wenn es diesmal nicht wieder so wäre.