Das Zelt für auswärtige Glitzerdirndl, denen das Champagnerglas näher ist als der Maßkrug.

2014 ersetzte der Marstall das nach 111 Jahren beerdigte Hippodrom. Wie es der Name bereits nahelegt, orientiert sich das neue Zelt stark an dessen Vorgänger. So ist auch die neue Fassade unverkennbar inspiriert von der Jugendstilfassade, die das Hippodrom seit 1985 auszeichnete. Die vor Kitschigkeit nicht zurückschreckende Herzerlform der großen Fenster dürfte dabei allerdings nicht jeder Betrachter gleich in sein eigenes Herz schließen. Bemerkenswerterweise wurde dieser Stil lediglich für die Front verwendet. Die Seitenwände hingegen wurden alpenländisch gestaltet und erinnern tatsächlich eher an einen Hof im Oberland. Innen ist das Zelt klar strukturiert und verzichtet auf viele gängige Gestaltungselemente wie Kränze unter dem Dach. Stattdessen ist die Innenausstattung in erster Linie nordisch-schlicht gehalten.

Auf der Speisenkarte werden viele typische Gerichte durch eher unerwartetes wie Garnelen oder Vitello Tonato ersetzt. Bodenständige Speisen im niedrigeren werden konsequent vermieden. So lassen sich beispielsweise Hendl nach 17 Uhr nur noch mit Kartoffelsalat bestellen. Auch sonst gehören die Mittagsangebote zu den unattraktivsten der Wiesn.

Die zehn Hostessen, die wie beim Vorgänger die Besucher vom Eingang abholen und freien Plätzen zuweisen sollen, sind angewiesen, Familien besonders familienfreundliche Plätze anzubieten. Auf beiden Etagen des Zeltes werden sogar Wickelbereiche zur Verfügung gestellt.

Für den mäßig besuchten Nachmittag sucht man weiterhin nach einer Identität, was sich in häufigen Wechseln der Nachmittagskappelle niederschlägt. Für den Abend gab es 2022 eine wesentliche Neuerung – zumindest oberflächlich betrachtet: Die Münchner Zwietracht, die 1994 erstmals für das Hippodrom engagiert wurde, wird durch das Königlich Bayerische Vollgasorchester ersetzt. Dieses ist jedoch aus der Zwietracht heraus entstanden und so wird es wohl dabei bleiben, dass ab 18:30 Uhr, nachdem das Licht fast komplett herunter- und die Beschallungsanlage aufgedreht wurde, eine Oktoberfest-Party feiert wird, wie es das Orchester auch in Mainz oder Oberhausen macht.

Das Abendpublikum hat sich im Vergleich zum Hippodrom im oberflächlich betrachtet nicht geändert. Hier verkehrt ein älteres Publikum, das sich mit vorbestelltem Champagner empfangen lässt und erst nach 21 Uhr auf die Bänke steigt (was auch vom Sicherheitspersonal durchgesetzt wird) oder sich gleich auf die Champagnerbar im Obergeschoss mit ihren 230 Plätzen stürzt. Prominenz oder gar autochthone Münchner sind allerdings rar geworden.

Am Nachmittag sind die Gäste bodenständiger und die Dirndlgewänder kommen mit weniger Glitzer aus. Besonders voll ist das Zelt dann noch nicht, gut angenommen wird allerdings der Biergarten. Dennoch wird der Marstall regelmäßig als einziges Zelt geschlossen, da zum Reservierungswechsel das nahezu leere Zelt komplett abgeriegelt wird. Spontanbesucher sollten die Reservierungszeiten also meiden. Auch abgesehen davon ist das Zelt sehr oft geschlossen, selten jedoch wegen Überfüllung. Vielmehr scheint es, als versuche man sich an einer harten Tür.

Der Name Marstall entstand laut Sigfried Able in einer abendlichen Runde im Februar, also erst nach Abgabe der Bewerbung um ein großes Wiesnzelt, die 2014 im dritten Anlauf erfolgreich war. Auch in den Vorjahren rangierten die Ables bei der Bewerberrangliste bereits auf den Plätzen zwei oder drei, bekamen jedoch mangels freien Zeltes vorher keinen Zuschlag. Das Pferdethema bezieht sich laut Able nicht auf den Vorgänger des Zeltes, das Hippodrom, sondern wurde vielmehr aus der Geschichte der Wiesn mit seinen Pferderennen inspiriert. Ausdrücklich am Hippodrom orientieren sich jedoch die Jugendstilfassade und die Zelt-Souvenirs, u. a. der zelteigene Bierkrug. Der künstlerische Verantwortliche der Ables gestaltete nämlich auch bereits für Sepp Krätz.

Reservierungen 2024

Für 2023 öffnete das Reservierungsportal am 28. April. Zum Start waren alle Abende bis auf die Samstage verfügbar. Allerdings waren diese auffällig lange verfügbar, sodass die Vermutung naheliegt, dass Menübesteller bevorzugt wurden. Seit Bestehen des Zeltes waren die kundenfeindlichen Konditionen des Zeltes mehrfach Anlass zur Diskussion und wohl auch ein Anlass für Neuregelungen der Landeshauptstadt. In der Vergangenheit erregte das Zelt mit außergewöhnlichen Versand- und Reservierungsgebühren, Menüzwang und unergründlich hohen Menügebühren für Aufsehen. 2024 haben wir bereits Beschwerden erhalten, dass Rechnungen mit dem Zahlungsziel 31. März, also lang, bevor die Wirtsleute überhaupt die Zulassung der Stadt bekommen, erhalten haben. Ein Münchnerkontingent wird wieder vergeben.