Immer strengere Auflagen machen die Wiesn nicht nur für Besucher unattraktiver, sondern auch teurer. Wir brauchen eine Wiesn-Reform!

Als Bürgermeister Josef Schmid 2016 den Antrag stellte, das Sicherheitskonzept des Oktoberfestes um eine durchgängige Absperrung des Festgeländes sowie Taschenkontrollen zu erweitern, stellte sich Oberbürgermeister Dieter Reiter noch quer. Der Antrag war neben der latenten Terrorangst auch mit der Sperrung des Pasinger Bahnhofs und des Hauptbahnhofs aufgrund eines Fehlalarms sowie der angeblichen Zunahme von extremen Wetterbedingungen begründet. Da Taschenkontrollen nicht dafür bekannt sind, Einfluss auf das Wetter oder die Vorhaben von Extremisten zu haben, war das Thema somit schnell wieder vom Tisch, schließlich dürfe Angst nicht unser Leben bestimmen, so Reiter. Um der allgemeinen Terrorhysterie Rechnung zu tragen, beschloss der Stadtrat am 5. Juli 2016, zwar stichprobenartige Taschenkontrollen einzuführen, von einem Zaun samt Taschenverbot jedoch abzusehen.

Dann jedoch kam der 22. Juli. Der Tag, an dem ein Rechtsradikaler vor dem Münchner Olympiaeinkaufszentrum neun Menschen mit einer Schusswaffe tötete, änderte alles. Insbesondere, wer sich zu diesem Zeitpunkt in der Innenstadt aufhielt, wird sich noch gut daran erinnern, wie der Vorfall die gesamte Stadt erfasste. Den ganzen Abend über waren Sirenen zu hören, die öffentlichen Verkehrsmittel stellten ihren Betrieb ein, Passanten riefen einem die aktuelle Gerüchtelage entgegen, die den Eindruck erweckte, ganz München würde von einer Terrormiliz heimgesucht. Nachrichtensondersendungen blieben ebenfalls stundenlang auf Sendung, um vom „Terroranschlag“ in München zu berichten.

Als wären Amokläufe bis zu diesem Tag ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, wurden auf einen Schlag Sicherheitskonzepte überall in München hinterfragt und in der Regel massiv verschärft. Passender wäre es wahrscheinlich von „Sicherheitsgefühlskonzepten“ zu sprechen. Da der Amokläufer einen Rucksack trug, stürzte man sich in der Folge auf ebendiese, als könne man mit deren Verbot tödliche Angriffe ausschließen. Veranstalter nahmen diesen neuen Zeitgeist gerne auf – wer nichts mitnehmen kann, muss sich schließlich vor Ort verköstigen. Ausgenommen sind hingegen nach wie vor Veranstaltungen wie das Tollwood oder die Auer Dulten, auf denen ein Taschenverbot den Besucher daran hindern würden, vor Ort einzukaufen. In diesem Fall ist offenbar die Gefährdung durch größere Taschen offenbar deutlich geringer.

Nachdem 1980 ein Rechtsradikaler am Oktoberfesthaupteingang 13 Menschen tötete und 211 verletzte und damit den schwersten Anschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte verübte, wurden infolgedessen die Mülleimer von der Theresienwiese verbannt, da der Attentäter seinen Sprengsatz in einem ebensolchen deponierte. Auch dabei handelte es sich freilich um Augenwischerei, schließlich sind Mülleimer genauso wenig notwendig für einen Anschlag wie Rucksäcke, doch ergab sich daraus nahezu keine Einschränkung für die Festbesucher. Auch die Besucherzahlen ginge nach dem Anschlag nicht deutlich zurück – noch nicht einmal am Folgetag.

Anders ist es mit dem Taschenverbot, das insbesondere für weiter gereiste Tagebesucher sowie Familien mit Kindern oder Passanten, die einfach nur gerne spontan über die Wiesn bummeln würden, behindert. Die Besucherzahlen sind seit 2016 rückläufig, insbesondere auch auf der Oidn Wiesn, wofür Festring-Vorstand Karlz-Heinz Knoll u.a. das Sicherheitskonzept verantwortlich macht, das insbesondere Familien von der Wiesn fernhält.

Spätestens 2018 wird ein zusätzliches Problem der massiv erweiterten Sicherheitsmaßnahmen deutlich: Die Wiesn nähert sich ihrer Unfinanzierbarkeit. Zaun, Lautsprecheranlage und Kontrollen haben die Ausgaben der Stadt in den letzten beiden Jahren stark aufgebläht. Da die Stadt als Veranstalter weder einen Gewinn noch einen Verlust mit dem Oktoberfest machen darf, müssen die gestiegenen Kosten auf die Beschicker umgelegt werden, welche diese freilich wiederum an ihre (immer weniger zahlreichen) Gäste weitergeben.

Zwar war die Wiesn auch in den vergangenen Jahrzehnten schon teuer, doch blieben die Besucherzahlen zwischen den 80ern und 2015, mit Ausnahme eines Durchhängers nach 2001, auf sehr hohem Niveau. Die Entwicklung der letzten beiden Jahre jedoch zeigt, dass die potentiellen Besucher eben doch nicht bereit sind, sich über alle Widrigkeiten hinwegzusetzen, um auf der Wiesn ihre Gaudi zu haben. Wenn sich nun das Preisniveau noch einmal deutlich erhöhen sollte, besteht die Gefahr, dass nicht nur eine Preisspirale aufgrund weiter sinkender Besucherzahlen ausgelöst wird, sondern dass auch die Atmosphäre des Festes spürbar leidet.

Ein halb volles Bierzelt entwickelt schließlich nicht die magische, Menschen zusammenführende Atmosphäre, die die Wiesnbesucher suchen - auf der Oidn Wiesn hat man dies bereits im vergangenen Jahr beobachten können.

Wir sind es gewohnt, dass Politiker, höchstens mit Ausnahme derer des rechten Randes, nach Anschlägen, die unter Terrorverdacht stehen, gleich nach der ersten Mitleidsbekundung dazu auffordern, dass wir unsere Lebensweise durch derartige Vorfälle nicht einschränken lassen dürfen. Doch fordern viele ebendieser Politiker mit dem dritten Atemzug bereits Maßnahmen, die ebendies tun. Wenn wir nämlich weiter akzeptieren, dass Sicherheitsauflagen immer aufwendiger und teurer umzusetzen werden, müssen wir auch damit rechnen, dass Veranstalter sich zurückziehen, weil ihre Feste nicht mehr wirtschaftlich durchführbar sind. Die Stadt München hat genau dies mit der Wiesn in den letzten beiden Jahren nämlich nicht mehr hinbekommen. Und ob die Besucher mitspielen, wenn es heuer aufgrund der massiven Pachtanhebung zu ebenso deutlichen Preiserhöhungen kommt, muss allmählich bezweifelt werden.